1. Definiton
2. Regelungen
3. Angebote zur Hilfe
1. Definition
Gewaltprävention in der Pflege
Bewohner im Altenheim Friedrichburg, sowie Gäste der Tagespflege und Patienten des ambulanten Pflegedienstes sollen vor Gewalt und Missbrauch geschützt werden.
Konflikte, die sich in Aggression und Gewalt, aber auch in Misshandlung und Vernachlässigung äußern und sich sowohl gegen Pflegebedürftige als auch gegen private und professionelle Pflegepersonen richten können, sind in der Pflege nicht selten.
Aufgrund der Abhängigkeit von Pflegepersonen und der Tatsache, dass sie sich oftmals schlecht wehren bzw. nicht einmal äußern können, sind ältere pflegebedürftige Menschen besonders in Gefahr, Opfer von Gewalt zu werden. Menschen mit Demenz stellen hier die am häufigsten betroffenen Personenkreis dar, gerade wenn bei fortschreitender Erkrankung herausfordernde Verhaltensweisen wie Unruhe, ständiges Rufen oder Hinlauftendenzen auftreten (Osterbrink & Andratsch, 2015).
Aber auch für viele Beschäftigte in den Einrichtungen des Gesundheitswesens gehören Erfahrungen mit aggressivem oder gewalttätigem Verhalten von Bewohnern zum beruflichen Alltag.
Somit können sowohl Pflegebedürftige als auch private oder professionelle Pflegepersonen „Opfer“ und „Täter“ sein (BGW, 2009).
- Gewalt durch professionelle und private Pflegepersonen
1.1 Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen
Um die Rolle und die Rechtsstellung hilfe- und pflegebedürftiger Menschen zu stärken, wurde im Jahr 2006 die sogenannte „Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen“ veröffentlicht. Sie beschreibt konkret die Rechte der Menschen in Deutschland, die der Hilfe und Pflege bedürfen.
So lautet die Präambel:
„Jeder Mensch hat uneingeschränkten Anspruch darauf, dass seine Würde und Einzigartigkeit respektiert werden. Menschen, die Hilfe und Pflege benötigen, haben die gleichen Rechte wie alle anderen Menschen. Sie dürfen inihrer besonderen Lebenssituation in keiner Weisebenachteiligt werden. Da sie sich häufig nicht selbst vertreten können, tragen Staat und Gesellschaft eine besondere Verantwortung für den Schutz ihrer Würde.“
(BMFSFJ & BMG, 2019).
1.2 Definition und Formen von Gewalt gegen ältere Menschen
Was jede einzelne Person als Gewalt empfindet, ist davon abhängig, wie sie aufgewachsen ist, wie sie denkt und fühlt. Und: manchmal ist Gewalt auch unbeabsichtigt oder nicht direkt als solche erkennbar (ZQP, 2020).
Die Weltgesundheitsorganisation WHO definiert Gewalt gegenüber älteren Menschen wie folgt:
„Unter Gewalt gegen ältere Menschen versteht man eine einmalige oder wiederholte Handlung oder das Unterlassen einer angemessenen Reaktion im Rahmen einer Vertrauensbeziehung, wodurch einer älteren Person Schaden oder Leid zugefügt wird.“ (Staudhammer, 2018).
Besonders Pflegebeziehungen, also Vertrauensbeziehungen zwischen Pflegebedürftigen und Pflegepersonen, zeichnen sich durch ein Abhängigkeitsverhältnis aus. Die pflegebedürftige Person ist abhängig von der Pflegeperson. Damit einher geht auch ein Machtgefälle, welches die Voraussetzung für Machtmissbrauch ist. Dadurch entsteht die Gefahr, dass der Pflegebedürftige zum Opfer wird und seine ausgesprochenen oder unausgesprochenen Bedürfnisse missachtet werden. Diese Missachtung kann auf unterschiedlichen Ebenen stattfinden, und zwar auf struktureller oder personaler Ebene (Staudhammer, 2018).
Strukturelle Gewalt, auch als indirekte Gewalt bezeichnet, wird verursacht durch Rahmenbedingungen, die in den Einrichtungen vorherrschen. Dazu gehören z.B. feste Essenszeiten, starre Tagesstrukturen und –Abläufe, feste Besuchszeiten sowie mangelnde Selbstbestimmung.
Diese Bedingungen und Personalmangel begünstigen die Entstehung gewalttätigen Verhaltens und führen dann nicht selten zu einer Rechtfertigung der Machtausübung über in Abhängigkeit stehende Personen.
Typische Beispiele sind:
- Der Patient wird heute nicht gewaschen, weil zu wenig Personal da ist.
- Der Bewohner wird nachts alle 2 Stunden zwecks Lagerung geweckt, obwohl er dabei schreit.
- Die Bewohnerin spuckt ihre Medikamente aus und erhält sie daraufhin zerkleinert im Jogurt.
- Der Patientin werden die langen Haare abgeschnitten, weil es für die Pflege leichter ist.
- Das Eigentum des Bewohners mit Demenz wird weggesperrt, damit er es nicht immer ausräumt.“
(Staudhammer, 2018)
Um eine gewisse Sensibilität dafür zu entwickeln, wie vielfältig sich direkte, personale Gewalt äußern kann, werden einige Beispiele für gewalttätige Verhaltensweisen gezeigt. Bei den unterschiedlichen Formen der Ausübung von Gewalt wird deutlich, dass gewalttätiges Handeln sowohl das aktive Tun also auch das Unterlassen notwendiger Handlungen umfasst.
Formen der Gewalt |
Beispielhafte Handlungen |
Körperliche Misshandlungen |
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Psychische Misshandlung/verbale Aggressiv |
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Pflegerische Vernachlässigung |
Unterlassen notwendiger pflegerischer Maßnahmen wie:
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Emotionale/psychosoziale Vernachlässigung |
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Finanzielle Schädigung |
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Freiheitseinschränkung bzw. Einschränkung der Autonomie |
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Tabelle Formen von Gewalt (in Anlehnung an (Görgen & Rabold, 2009; Osterbrink & Andratsch, 2015)
Zum Thema sexualisierter Gewalt siehe Schutzkonzept „515 - Intentionelles Schutzkonzept: Prävention gegen sexualisierter Gewalt“ behandelt.
Freiheitsentziehende Maßnahmen werden im Konzept „230 – Pflege – Freiheitsentziehende Maßnahmen“ behandelt.
1.3 Ursachen und bedingende Faktoren
Eine bedeutende Ursache für schwerwiegendes oder häufiges Problemverhalten professioneller Pflegepersonen gegenüber pflegebedürftigen Personen ist die berufliche Überforderung durch den ständig bestehenden Zeitdruck und Personalmangel, aber auch private Überbelastung. Zudem stellen eine schlechte körperliche oder psychische
Verfassung, Alkoholkonsum und die Erfahrung häufiger Übergriffe durch Pflegebedürftige Risikofaktoren dar, um Gewalt anzuwenden.
Seitens der pflegebedürftigen Person können hohes Alter, ein schlechter Gesundheitszustand, herabgesetzte Körperfunktionen oder das Vorliegen einer Demenzerkrankung mit ausgeprägten herausfordernden Verhaltensweisen Risikofaktoren für Gewalterfahrungen sein, besonders wenn den zuständigen Pflegepersonen Fachwissen und –Kompetenz im Umgang mit diesen Verhaltensweisen fehlt. Daneben gibt desweitere Faktoren, die die Anwendung von Gewalt gegen den Pflegebedürftigen begünstigen, wie z. B. eine schwache soziale Einbindung und die bestehende Abhängigkeit von der Pflegeperson (Osterbrink & Andratsch, 2015; Görgen & Rabold, 2009).
Auch in der privaten Pflege gibt es Risikofaktoren, die dazu führen können, dass pflegende Angehörige Aggressionen und problematische Verhaltensweisen zeigen. Eine schlechte Beziehungsqualität vor der Übernahme der Pflege oder aber eine stark hierarchisch geprägte Beziehung zwischen der Pflegeperson und dem Pflegebedürftigen gehören ebenso dazu wie aggressives und schwieriges Verhalten seitens des Pflegebedürftigen oder eine soziale Isolation.
Des Weiteren besteht ein erhöhtes Risiko, wenn der pflegende Angehörige selbst in schlechter körperlicher oder psychischer Verfassung ist oder zu Substanzmissbrauch (z. B. Alkohol, Medikamente) neigt. Zu den weiteren Faktoren, die gewalttätiges Verhalten bedingen, zählen die gegenseitige Abhängigkeit in Bezug auf die finanzielle Lage, die Wohnung oder auf emotionaler Ebene sowie mangelndes Wissen über Krankheitsbilder und –Verläufe des Pflegebedürftigen (Nägele, Kotlenga, Görgen, & Mauder, 2009).
1.4 Anzeichen für Gewaltanwendungen
Opfer von gewalttätigem Verhalten schweigen nicht selten aus Scham, weil sie in Abhängigkeit zum Täter stehen oder weil sie krankheitsbedingt, gar nicht in der Lage sind, darüber zu berichten.
Umso wichtiger ist es, diese Personen besonders zu schützen. Selbst für professionelle Pflegepersonen ist es nicht immer einfach, die Anzeichen, die bei Gewaltanwendung auftreten können, eindeutig zuzuordnen. Sie können auch Folge eines Sturzes oder Symptome einer Erkrankung sein.
Mögliche Warnhinweise sind:
- Blutergüsse an nicht sturztypischen Stellen
- Kratzer oder Schnitte
- Hautabschürfungen oder - Unterblutungen, Platzwunden
- Abdrücke und Hautrötungen von Schnallen, Gurten oder Seilen, z. B. an Hand- und Fußgelenken
- Verletzungen im Intimbereich (Blutungen)
- Zeichen für Flüssigkeitsmangel, bemerkbar z. B. durch trockene Schleimhäute, oder Mangelernährung, bemerkbar z. B. durch Untergewicht, starker Gewichtsverlust
- Mangelnde medizinische Versorgung, z. B. wenn die pflegebedürftige Person in wechselnden Einrichtungen behandelt wird, um häufige Verletzungen zu verdecken oder wenn zwischen den Zeitpunkten der Verletzung und der Behandlung auffallend lange Zeit vergeht.
- Mangelnde Hygiene, z.B. ein sehr ungepflegtes, verwahrlostes Äußeres
- verändertes Verhalten der pflegebedürftigen Person, wenn sie z. B. verstört, verängstigt, teilnahmslos, aber auch auffallend aggressiv wirkt
- Verschwinden von Geld oder Wertgegenständen
(Osterbrink & Andratsch, 2015; Grundel, et al., 2014)
1.5 Maßnahmen zur Gewaltprävention
Ebene der Pflegeperson
Aus einigen dargestellten Ursachen lassen sich Maßnahmen zur Prävention von Problemverhalten bei Pflegepersonen ableiten. Zunächst gilt es, eine drohende Überlastung bei sich selbst oder auch den Kollegen zu erkennen.
Möglichen Anzeichen die auf eine drohende Überlastung hinweisen könne
Körperliche Warnsignale |
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Emotionale Warnsignale |
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Kognitive Warnsignale |
|
Warnsignale für Stress (eigene Erstellung, in Anlehnung an (Kaluza, 2011a)
Um einer drohenden Überlastung zu begegnen, kann man sich an den drei Säulen der Stressbewältigung orientieren.
Die erste Säule umfasst die instrumentelle Stresskompetenz. Hier setzt man direkt bei den Stressoren an und versucht, Belastungen und Anforderungen im privaten oder beruflichen Umfeld zu verändern, z.B. durch Reduzierung oder Beseitigung. Dies gelingt, indem man z.B. Aufgaben abgibt, Unterstützung sucht, Prioritäten oder auch Grenzen setzt. Empfehlenswert ist an dieser Stelle auch ein offenes Gespräch mit dem Vorgesetzten.
Bei der zweiten Säule, der mentalen Stresskompetenz, geht es darum, dass man sich der eigenen, persönlichen Stressverstärker (stresserzeugende und – verstärkende Einstellungen) bewusstwird, diese verändert und förderliche Einstellungen entwickelt. Dazu gehört z.B., die eigenen, vielleicht überhöhten Leistungsansprüche zu überdenken und die Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit zu akzeptieren („Fünfe gerade sein lassen“) oder auch Schwierigkeiten nicht als negative Bedrohung, sondern positiver als Herausforderung zu betrachten.
Die dritte Säule befasst sich mit der regenerativen Stresskompetenz und behandelt den Umgang mit Stressreaktionen. Leider ist es nicht immer möglich, die Stressoren der ersten Säule oder die stressverstärkenden Einstellungen der zweiten Säule zu beeinflussen. Wenn dann Stressreaktionen auftreten, sollte man durch aktives Handeln versuchen, die Anspannung ab -, Erholungsphasen ein-und damit die Belastbarkeit auszubauen. Dies geschieht aktiv durch Entspannungstechniken, Bewegung, gesunde Ernährung, Pflege von sozialen Kontakten und Hobbys, ausreichend Schlaf, usw. (Kaluza, 2011b)
Der Spruch „Wer pflegt, muss sich selbst pflegen“ gilt in diesem Zusammenhang nicht nur für pflegende Angehörige, sondern auch für professionell Pflegende!
2. Regelungen
Deeskalation
Wenn es doch einmal zu Aggressionen kommt, ist es wichtig, diese nicht in Gewalt eskalieren zu lassen und richtig mit ihnen umzugehen:
- Um mit eigenen Aggressionen umgehen zu können, muss man diese zunächst einmal als menschliches Gefühl annehmen und sich selbst erlauben, diese zu haben.
- Es ist hilfreich, diese aggressiven Gefühle an - bzw. auszusprechen, z.B. gegenüber Kollegen. Oftmals verlieren sie dann schon an Intensität und man fühlt sich besser.
- In einer akuten Situation kann es hilfreich sein, wenn möglich den Raum zunächst zu verlassen und einen Kollegen zu bitten eine begonnene Tätigkeit zu beenden.
- „Dampf ablassen“ ist auch eine Möglichkeit, indem man sich einen Ort sucht, an dem man weder gehört noch gestört werden kann und dann schimpft oder schreit, bis die Aggressionen nachlassen. Alternativ kann man z.B. auch in ein Kissen schlagen oder etwas in der Hand kneten.
- Wenn auffällt, dass es immer dieselben Situationen sind, die zu einer aggressiven Anspannung führen: versuchen, diese Situation zu umgehen oder an einen Kollegen zu übertragen (Seidel, 2007).
Ebene der Pflegeeinrichtung
Strukturelle Gewalt ist größtenteils durch die Bedingungen in den Einrichtungen geprägt. Eine gewaltpräventive Einrichtungskultur des Vertrauens, der Enttabuisierung und der Achtsamkeit ist im Altenheim Friedrichsburg ein wichtiger Aspekt der Gewaltprävention. Der Führungsstil bei Leitungskräften ist von Vertrauen und Präsenz geprägt.
Zum Präventionskonzept Gewaltschutz im Altenheim Friedrichsburg gehört:
- Konzept Gewaltschutz QM
- Regelmäßige Schulung der Mitarbeiter - Gewaltprävention
- Offener Umgang mit dem Thema, dass Mitarbeiter sich nicht allein gelassen fühlen und Herausforderungen und Probleme auf allen Ebenen ansprechen können
- Pflegekonzept der Mäeutik, Bedürfnisorientierung und ein ganzheitlicher Ansatz im täglichen Tun steht im Vordergrund. In Bewohnerbesprechungen wird herausforderndes Verhalten thematisiert und eine Umgangsempfehlung entwickelt.
- Schulung Arbeitssicherheit mit Gefährdungsbeurteilung zur Gewaltprävention
- Präventionsbeauftrage als Ansprechpartner und Vertrauenspersonen
1.6 Umgang mit Verdachtsfällen von gewalttätigen Handlungen
In der häuslichen Versorgung von pflegebedürftigen Personen nehmen professionelle Pflegepersonen eine wichtige Schlüsselfunktion in der Gewaltprävention ein. Häufig sind sie die einzigen Personen, die einen direkten Zugang zum Pflegebedürftigen haben und Einblick in die häusliche Situation erlangen.
Nehmen professionell Pflegende in der ambulanten Pflege Auffälligkeiten, wie z.B. körperliche Verletzungen, pflegerische Vernachlässigung oder Verhaltensänderungen, wahr, die auf gewalttätige Handlungen gegen den Patienten hindeuten könnten, sollten sie diese zunächst im Team bzw. mit der vorgesetzten Leitung besprechen. Ggf. ist auch eine Rücksprache mit weiteren Beteiligten wie den behandelnden Ärzten sinnvoll. Anschließend wird über die weitere Vorgehensweise entschieden. Wenn möglich, sollten die wahrgenommenen Auffälligkeiten mit der pflegebedürftigen Person besprochen werden. Andernfalls sollte das Gespräch mit den Angehörigen gesucht werden.
Wichtig ist außerdem, die wahrgenommenen Auffälligkeiten fortlaufend zu dokumentieren. Ein Abwägen des Gefahrenrisikos kann ergeben, dass ein rechtfertigender Notstand vorliegt, der eine Entbindung von der Schweigepflicht nach § 34 Strafgesetzbuch nach sich zieht. In diesem Zusammenhang spricht man auch von der Garantenpflicht, nach der professionell Pflegende dazu verpflichtet sind, Maßnahmen zu ergreifen, wenn sie über Formen von Gewalt oder Vernachlässigung gegenüber pflegebedürftigen Kenntnis erlangen. Im weiteren Verlauf kommen als Maßnahmen die Vermittlung von Unterstützung, die Einleitung medizinischer Versorgungsmaßnahmen wie z.B. eine Krankenhauseinweisung oder die Weiterleitung der Informationen an die Pflegekasse, ggf. die Betreuungsbehörde, die Polizei oder das Amtsgericht in Frage.
(Grundel, et al., 2014).
Handlungsalgorithmus für ambulante Pflegekräfte „Gewalt gegen Pflegebedürftige“ ‘auf der Internetseite „Befund: Gewalt“ www.befund-gewalt.de/handlungsschritte.html. Auch das Onlineportal „Gewaltprävention in der Pflege“ des Zentrums für Qualität in der Pflege (ZQP) hat wichtige Tipps zusammengestellt unter dem Link: https://www.pflege-gewalt.de/tipps-gewaltpraevention-pflegende/helfen/.
2. Gewalt durch Pflegebedürftige
2.1 Ursachen und bedingende Faktoren
Als Ursachen für aggressives und gewalttätiges Verhalten einer pflegebedürftigen Person sind häufig krankheitsbedingte Verhaltensänderungen, wie sie z.B. als herausforderndes Verhalten bei einer Demenz auftreten, zu finden. Bedürfnisse wie Hunger, Toilettendrang oder Beschäftigung, Gefühle wie Angst und Unruhe, aber auch Reizüberflutung sowie Schmerzen können dann verbal nicht mehr geäußert werden. Anstatt dessen reagieren betroffene Patienten mit aggressivem Verhalten und werden nicht selten auch körperlich gewalttätig. Aber auch bei Pflegebedürftigen, die keine geistigen Einschränkungen aufweisen, können Unzufriedenheit und, fehlende Lebensqualität Gefühle von Hilflosigkeit, Angst und Verzweiflung, ein starkes Abhängigkeitsverhältnis mit fehlender Selbstbestimmung und Schmerzen zu Aggressionen und Gewalthandlungen führen. Eine falsche Medikation ist bei Menschen mit und ohne kognitive Einschränkungen als Ursache für aggressives Verhalten zu prüfen (BGW, 2009).
2.2 Auswirkungen auf die professionellen Pflegepersonen
Von Aggression und gewalttätigem Verhalten betroffene, professionelle Pflegekräfte reagieren mit Ärger und Wut, Angst und Selbstzweifel, Enttäuschung, Hilflosigkeit und Traurigkeit. Nicht selten tritt Unsicherheit im Umgang mit dem betreffenden Bewohner auf. Auch körperliche Beeinträchtigungen wie Schmerzen oder Verletzungen – sichtbar und nicht sichtbar – sind möglich. Infolgedessen handeln professionelle Pflegepersonen vorsichtiger, aufmerksamer und angespannter. Einige berichten auch von einer Abnahme der Motivation und Freude am Beruf. Die Erfahrung von Aggression und Gewalt durch Pflegebedürftige führt zu einem erhöhten Belastungsempfingen bei Pflegepersonen (BGW, 2018). Dieses wiederum verstärkt die Gefahr, selbst problematische Verhaltensweisen gegenüber Pflegebedürftigen anzuwenden.
2.3 Maßnahmen zur Gewaltprävention
Die wichtigsten Maßnahmen zur Gewaltprävention bei Pflegebedürftigen mit krankheitsbedingten Verhaltensänderungen ergeben sich aus der Suche nach den oben bereits genannten Ursachen bzw. dem Auslöser für das aggressive Verhalten. Wenn Bedürfnisse wie Hunger, Durst, Urin-bzw. Stuhldrang oder Schlaf befriedigt werden, verlieren sich ggf. die Aggressionen. Ähnlich verhält es sich mit Angstgefühlen, Schmerzen und Langeweile.
Das mäeutische Pflegekonzept im Altenheim Friedrichsburg stellt den Umgang mit herausfordernden Verhaltensweisen und die Gestaltung der Beziehung sowie die Bedürfnisse des Menschen mit Demenz in den Mittelpunkt.
Kommt es dennoch zu einer kritischen Situation, können folgende Deeskalationsstrategien (BGW, 2019) helfen, die Situation unter Kontrolle zu halten:
- Begegnen Sie ihrem Gegenüber empathisch, respektvoll, ernsthaft und fair.
- Sprechen Sie mit ruhiger, möglichst tiefer Stimme.
- Schätzen Sie die Situation realistisch ein: Können Sie diese allein bewältigen?
- Versuchen Sie nicht, ihr Gegenüber zu kontrollieren, sondern die Situation.
- Beginnen Sie möglichst frühzeitig mit deeskalierenden Maßnahmen, dann wirken sie am besten.
- Versuchen Sie, Zeit zu gewinnen, um ihre Entscheidungen sorgfältig zu treffen und Spannung abzubauen (z.B. mit einem Blick aus dem Fenster).
- Halten Sie mindestens eine Armlänge Abstand zu ihrem Gegenüber.
- Treten Sie selbstbewusst auf, aber ohne zu provozieren.
- Achten Sie – falls erforderlich – auch auf die Sicherheit unbeteiligter Personen.
Praktische Tipps zur Prävention von gewalttätigem Verhalten finden Sie in der Broschüre „Gewalt vorbeugen. Praxistipps für den Pflegealltag“ des Zentrums für Qualität in der Pflege (2020) unter dem Link https://www.zqp.de/wp-content/uploads/ZQP_Ratgeber_Gewalt.pdf.
2.4.Nachsorge nach einem Vorfall
Nicht immer gelingt es, mithilfe von deeskalierenden Strategien Übergriffe durch Patienten zu vermeiden. Ist man selbst oder aber ein Kollege davon betroffen, sollte man zunächst aus der Situation herausgehen und einen ruhigen Ort aufsuchen. Möglicherweise hilft es auch, den Arbeitsplatz kurzfristig zu verlassen – am besten in Begleitung.
Liegt eine körperliche Verletzung vor, sollte man diese natürlich zunächst versorgen.
In der Akutsituation nach einem Vorfall ist die soziale Unterstützung durch vertraute Kollegen sehr wichtig. Diese sollten angemessen reagieren und den betroffenen Mitarbeiter beruhigen, ihm Mitgefühl und Gesprächsbereitschaft zeigen.
Für diese Akutsituationen können Sie sich an die Einrichtungsleitung, Fachbereichsleitung, Präventionsbeauftragte oder Vorgesetzte wenden. Sie kümmern sich direkt nach dem Vorfall um den betreffenden Mitarbeiter und leiten weitere Schritte ein, wie z.B. die Begleitung zum Arzt, die Information des Vorgesetzten und die Meldung an die Berufsgenossenschaft bzw. Unfallversicherung
Alle Formen von erfahrener Gewalt, also auch Androhungen und Übergriffe, gelten als Arbeitsunfall und sollten als solche entsprechend im Verbandbuch oder einem internen Erfassungssystem dokumentiert werden. Besonders bei Gewalterfahrungen können gesundheitliche Folgen auch erst verspätet auftreten. Eine Meldung an die Unfallversicherung ist immer dann empfehlenswert, wenn vermutet wird, dass der betroffene Mitarbeiter Hilfe bei der Verarbeitung des Vorfalls benötigen könnte. Denn nur dann kann diese Unterstützung anbieten.
Als Mitarbeiter sollte man allerdings auch die einrichtungsinternen Gesprächsangebote, z.B. mit dem Vorgesetzten, wahrnehmen und offen mit den gesundheitlichen Folgen des Vorfalls umgehen (BGW, 2019).
3. Angebote zur Hilfe
Externe Hilfestellen
Anja Harryson Systemische Beratung kostenlos
Individuelle kostenlose Beratung im Umgang mit besonderen persönlichen Situationen
Telefon 0178 / 4 91 16 66
kontakt@anja-harrison.de
Telefonseelsorge in Not- und Krisensituationen
Telefon 0800 / 111 0 222
Beratungsstelle Frauen - Notruf Münster e.V.
Beratungsstelle für Frauen und Mädchen bei Gewalt und sexualisierter Gewalt
Telefon 0251 / 3 44 43
info@frauennotruf-muenster.de
Zartbitter Beratungsstelle für Jugendliche und Erwachsene mit sexuellen Gewalterfahrungen
Telefon 0251 / 41 40 - 555
info@zartbitter-muenster.de
Weisser Ring e.V.
Hier erhalten Betroffene von Gewalt kostenlos emotionale Unterstützung, sie werden über ihre Rechte und den Rechtsweg informiert.
Opfer-Telefon 116 006
www.weisser-ring.de
Polizei Münster Prävention und Opferschutz
Telefon 0251 / 2 75 31 10
Insite Interventions (für Mitarbeiter und Angehörige)
Kontakt über Flyer aus der Personalabteilung / Einrichtungsleitung
Beratungsfelder: Recht, psychische Belastung, kritische Lebenslagen, u. a.
WTG-Behörde Münster Heimaufsicht
Zum Schutz in Einrichtung lebender Menschen
Nina Möllering, Telefon 0251 / 4 92 50 94
Stabsstelle Intervention und Prävention Münster
bei Verdacht oder konkreten Hinweis von sexuellem Missbrauch
Telefon 0251 / 49 51 70 12
Interventionsbeauftragte: Eva-Maria Kapteina und Stephan Baumers
Interne Ansprechpartner
Karin Tiggemann (Präventionsfachkraft im Altenheim Friedrichsburg)
Telefon 0251 / 52 00 20
Literaturverzeichnis
BGW. (2009).
Gewalt und Aggression in der Pflege. (BG für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege, Hrsg.) Abgerufen am 08.März 2021 von https://www.bgw-online.de/DE/Arbeitssicherheit-Gesundheitsschutz/Grundlagen-Forschung/GPR-Medientypen/Downloads/BGW08-00-113-Gewalt-und-Aggression-in-der-Pflege-Kurzueberblick_Download.pdf;jsessionid=787F84B508A93E14C760121DFBB58F5D?__blob=publicationFile
BGW. (Oktober 2018).
Belastungen durch Aggression und Gewalt gegenüber Beschäftigten der Pflege- und Betreuungsbranche in Deutschland -ein Survey. (BG für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege, Hrsg.) Abgerufen am 08.April 2021 von https://www.bgwonline.de/DE/Arbeitssicherheit-Gesundheitsschutz/Grundlagen-Forschung/GPR-Medientypen/Downloads/Studie-Gewalt-Mitteilungen.pdf;jsessionid=2C02C765ABF047151DC9417DEED2B00C?__blob=publicationFile
BGW. (September 2019).
Prävention von Gewalt und Aggression gegen Beschäftigte. Handlungshilfe für Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen (DGUV Information 207-025).(BG für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege, Hrsg.) Abgerufen am 07. April 2021 von https://www.bgw-online.de/SharedDocs/Downloads/DE/Medientypen/BGW%20Broschueren/BGW08-00-070-Praevention-von-Gewalt-und-Aggression.pdf?__blob=publicationFile
BMFSFJ, & BMG. (Januar 2019).
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Osterbrink, J., & Andratsch, F. (2015). Gewalt in der Pflege. Wie es dazu kommt. Wie man sie erkennt. Was wir dagegen tun können.München: C.H.Beck oHG.
Seidel, L. (2007). Gewalt an alten Menschen. Entstehungsfaktoren für Gewalt an pflegebedürftigen alten Menschen und Lösungsansätze. Frankfurt a. M.: Mabuse-Verlag.
Staudhammer, M. (2018). Prävention von Machtmissbrauch und Gewalt in der Pflege. Deutschland: Springer-Verlag
Thoma, J., Schacke, C., & Zank, S. (2004). Gewalt gegen demenziell Erkrankte in der Familie:
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