„Du zählst, weil Du du bist. Und du wirst bis zum letzten Augenblick deines Lebens eine Bedeutung haben.“
- Cicely Saunders -
4. Interdisziplinäre Zusammenarbeit
5. Palliative Einschreibung - Der Weg
6. Symptome – Beobachtung und erste Maßnahmen
7. Der Wunsch des Bewohnenden im Mittelpunkt
8. Sterbephasen nach Kübler Ross
9. Qualifikation und Stärkung der Mitarbeiter*innen
10. Planung Begleitung sterbender Bewohner
Einleitung
Das vorliegende Konzept beschreibt unseren Umgang, unser Handeln und unsere Haltung gegenüber unseren Bewohnenden in ihrer letzten Lebensphase und ihren Angehörigen. Bereits bei Einzug ist dem Bewohnenden bewusst, dass er seinen letzten Lebensabschnitt bei uns verbringt und dass das Leben endlich ist. In unserem Betreuungs- und Teilhabekonzept fest verankert, möchten wir den uns anvertrauten Menschen begleiten, nicht „dem Leben mehr Tage zu geben, sondern dem Tag mehr Leben zu geben“. Dies gilt auch für die letzte Lebensphase, bei dem der Bewohnende bis zu seinem Tod durch eine nach seinen Bedürfnissen ausgerichtete palliative Versorgung erhält. Der Erhalt der Lebensqualität steht im Vordergrund. Damit geht einher, dass unter Beteiligung verschiedener Akteure, seelische und körperliche Beschwerden gelindert, die Selbstbestimmung gefördert und Angehörige im Prozess und über den Tod hinausbegleitet werden. Die palliative Versorgung verfolgt nicht das Ziel, den Tod hinauszuzögern oder zu beschleunigen. Vielmehr geht es um ein würdevolles Sterben ohne Ängste und Schmerzen. Immer wieder kommt es vor, dass auch Gäste in unserer Kurzzeitpflege versterben. Für sie gelten ebenfalls ausnahmslos unsere Handlungen im vorliegenden Konzept.
Unser Haus ist ein Ort des Lebens und des Sterbens, Sterbebegleitung ist für uns Lebensbegleitung.
Definition
Der Begriff Palliativ ist eine Abwandlung der lateinischen Wörter Pallium (Umhang/Mantel) bzw. palliare (bedecken/lindern). In der Palliativen Versorgung geht es nicht um die Heilung einer Erkrankung, sondern um die Linderung bestehender Symptome, sodass das Wohlergehen des Menschen im Mittelpunkt steht. Der exakte Zeitpunkt, ab wann eine palliative Behandlung beginnt, ist nicht immer einfach zu bestimmen. Es ist vielmehr ein kontinuierlicher Übergang von der kurativen zu einer zunehmenden palliativen Versorgung. Eine palliative Versorgung beginnt deshalb nicht erst in den letzten Lebenstagen, sondern setzt bereits früher an. Sie kann deshalb über mehrere Monate oder auch Jahre gehen.
Die WHO definiert Palliative Care im Jahr 2002 wie folgt[1]:
„Palliativmedizin/ Palliative Care ist ein Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und ihren Familien, die mit Problemen konfrontiert sind, welche mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung einhergehen. Dies geschieht durch Vorbeugen und Lindern von Leiden durch frühzeitige Erkennung, sorgfältige Einschätzung und Behandlung von Schmerzen sowie anderen Problemen körperlicher, psychosozialer und spiritueller Art.“
Grundhaltung und Ziele
Das Eduard-Michelis-Haus ist das Zuhause unserer Bewohnenden mit einer lebensbejahenden Grundhaltung. Die Würde, individuellen Bedürfnisse und Selbstbestimmung der uns anvertrauten Menschen stehen auch in der Sterbephase in unserem alltäglichen Handeln im Mittelpunkt. Wir kennen unseren Bewohnenden mit seinen Vorlieben und respektieren und achten sie auch in den letzten Wochen des Lebens. Wir fördern das Festhalten des Willens in einer Patientenverfügung, damit diesem auch in Situationen, in denen der Bewohnende nicht mehr eigenständig entscheiden kann, nachgekommen werden kann.
Die Ziele der palliativen Versorgung
- Die Linderung von physischem und psychischem Leiden und damit die Lebensqualität zu erhalten. Dazu zählt auch, die Autonomie zu fördern und den individuellen Wünschen und Bedürfnissen des Bewohnenden bestmöglich nachzukommen.
- Das private Umfeld des Bewohnenden im Prozess einzubeziehen und Angehörigen in der Zeit des Trauerns zur Seite zu stehen
- Das Sterben als natürlichen Prozess zu sehen, der zu unserem Leben dazugehört
Interdisziplinäre Zusammenarbeit
Wir betrachten unsere Bewohnenden ganzheitlich, d. h., was wünscht sich der Bewohnende hinsichtlich seiner körperlichen und seelischen Verfassung, was sind seine Sorgen, Werte und wie können wir unsere Pflege bedürfnisgerecht ausrichten? Um die zugrundeliegenden Ziele bestmöglich zu erreichen, nehmen neben Mitarbeitenden aus Pflege und Betreuung auch weitere Akteure und Berufsgruppen eine wichtige Rolle ein.
- Angehörige sind eingeladen, sich intensiv mit der Situation auseinanderzusetzen und im engen Kontakt mit ihrem Familienmitglied zu stehen. Eine Übernachtung des engsten Familienmitgliedes ist im gleichen Zimmer auf Wunsch möglich. Die Angehörigen werden im Eduard-Michelis-Haus ebenfalls zum Essen und Trinken eingeladen. Wir stehen ihnen beratend und begleitend zur Seite.
- Unser Seelsorger dient als Ansprechpartner und Unterstützer
- Unsere Mitarbeitende in der Sozialen Betreuung und im sozialen Dienst
- Unsere Mitarbeitende in der Hauswirtschaft setzen das Bedürfnis nach Wunschkost und/oder Wunschgetränken um
- Die Zimmerreinigung wird dem Wunsch und Bedarf des Bewohnenden nach Ruhe angepasst
- Betreuer*in Erfüllen primär formelle Angelegenheiten entsprechend des Aufgabenkreises der Bestellung. Alle anstehenden Entscheidungen sind mit ihnen abzustimmen, über Veränderungen sind sie zu informieren
- Haus- und Fachärzte sowie Therapeuten ordnen therapeutische Maßnahmen an und führen sie durch. (Siehe oben) Sie sind weitgehend auf die Rückmeldung der Pflege und Betreuung angewiesen um auf Veränderungen reagieren zu können
- Wir schalten frühzeitig den Ehrenamtlichen Besuchsdienst des Hospizvereins Gladbeck ein. Dieser bietet durch seine regelmäßigen Besuche zusätzliche Entlastung für die Bewohnenden und ihre Angehörigen.
Hospiz-Verein Gladbeck e. V.
Horsterstraße 8
45964 Gladbeck
Tel: 02043 9871355 oder 0157/51704 26 4
- Wir schalten Palliativdienste ein und kooperieren mit
PKD Bottrop (Palliativmedizinischer Konsiliardienst Bottrop)
Gladbeckerstr. 20
46236 Bottrop
Tel: 02041/7665100 Fax: 02041/4065281
PKD Gelsenkirchen
Lübeckerstr. 19
45889 Gelsenkirchen
Tel: 0209/95713350 Fax: 0209/95713351
Seelsorge
Spirituelle Begleitung ist wesentlicher Bestandteil im Eduard-Michelis-Haus. Werden alle Bereiche des Menschseins angesichts einer lebensbedrohlichen Erkrankung beachtet, stellt sich auch die Frage nach der spirituellen Befindlichkeit eines Bewohnenden.
Seelsorge begleitet in der Suche nach Sinn und nach tragenden Lebensfundamenten in der Krankheitsbewältigung. Sie stellt sich der Frage, was nach dem Leben kommt. Dabei steht immer der einzelne, unverwechselbare Mensch mit seiner Würde im Mittelpunkt. Spirituelle Begleitung zielt darauf, dass Betroffene sich als eigenständige Person wahrnehmen und Leben auch in Krankheit und Endlichkeit als sinn- und wertvoll erfahren können. Seelsorge in der Palliativversorgung richtet sich an den Bewohnenden, sein persönliches Umfeld und an die Mitarbeitenden im Team.
Schwerpunkte seelsorglicher Begleitung sind
- Besuche im Zimmer; Bewohnenden und Angehörigen im Gespräch zur Seite stehen
- Feier von Ritualen - traditionelle Zeichenhandlung (Segnung, Krankenkommunion,
Abendmahl, Krankensalbung, Sterbesegen)
- Begleitung des Bewohnenden im Sterbeprozess und Menschen des direkten Umfeldes in ihrer Trauer
- Kriseninterventionen
- Begleitung von Mitarbeitenden in der Palliativversorgung: Persönliche Gespräche; Beratung des Teams in spirituellen, theologischen und ethischen Fragen
- Spirituelle Angebote: Gottesdienste, Meditation
Palliative Einschreibung - Der Weg
Unsere Pflegefachkräfte begleiten den Bewohnenden täglich, nehmen Veränderungen wahr und können fachlich beurteilen, wann eine palliative Einschreibung zu befürworten ist. Sie informieren die Pflegedienstleitungen über den veränderten Allgemeinzustand.
Die Bezugspflegefachkraft berät den Bewohnenden, den Bevollmächtigten oder gesetzliche*n Betreuer*in zur palliativen Versorgung und über den Weg der Einschreibung. Bestehen Unsicherheiten in der Beratung, zieht die Pflegefachkraft von Anfang an die Pflegedienstleitungen und eine Palliativ Fachkraft zur fachlichen Unterstützung/Begleitung hinzu.
Die Beratung umfasst folgende Themen
- Was bedeutet palliative Einschreibung hinsichtlich einer ganzheitlichen Sichtweise (Medizin – Pflege – Leben)?
- Der Weg der Einschreibung über den Hausarzt
- Ggfls. Unterstützung/Erklärungshilfen bei der Antragsstellung
- Ggfls. Informationen zur Patientenverfügung
- Ggfls. Informationen zum „PALMA“- Bogen
- Angebot, ein weiteres Gespräch mit Pflegedienstleitung zu führen
- Hinweis zu unseren palliativen Fachkräften, die zur weiteren Beratung hinzugezogen werden können
Situationsbezogen informiert die Fachkraft vor oder nach dem Gespräch mit dem Bewohnenden bzw. dem Bevollmächtigten den Hausarzt. Die Fachkraft schildert dem Hausarzt den Allgemeinzustand der letzten Tage, getroffene Maßnahmen und begründet fachlich die Einschreibung in eine palliative Versorgung.
Ist die Einschreibung durch den Hausarzt erfolgt, setzt sich der entsprechende Palliativdienst mit der diensthabenden Schichtleitung des Wohnbereiches in Verbindung. Der Palliativdienst nimmt die aktuelle Medikation, die Diagnosen sowie die Kontaktdaten der Bevollmächtigten auf. Es folgt ein persönlicher Erstkontakt. Der/die Palliativmediziner*in erteilt einen medizinischen Behandlungsplan mit dem Ziel, eine optimale Schmerz- und Symptomlinderung zu gewährleisten. Die erforderlichen Verordnungen werden durch die verantwortliche Schichtleitung vom Hausarzt eingeholt.
„PALMA“ Bogen
„PALMA“ bedeutet „Patienten-Anweisung für lebenserhaltende Maßnahmen“. Kommt es für den palliativeingeschriebenen Bewohnenden zu einer Notfallversorgung, gibt der Bogen (siehe Anhang) eine sofortige Orientierungshilfe; es fasst den Willen der Patientenverfügung zusammen. Der Bogen gilt deshalb ausschließlich in Verbindung mit einer Patientenverfügung. Es ist vom Bewohnenden, Bevollmächtigten und dem Arzt zu unterschreiben. Der Bogen wird in einem roten Schnellhefter im Zimmer des Bewohnenden aufbewahrt. In diesem befinden sich ebenfalls weitere Informationen und Kontaktdaten des Palliativdienstes.
Besteht ein „PALMA“-Bogen, ist dieses mit allen verantwortlichen Mitarbeitenden der Pflege im Tag- und Nachtdienst, der Betreuung und den leitenden Mitarbeitenden mitzuteilen. In einem ethischen Fallgespräch werden mögliche Notfallsituationen und unser Handeln besprochen.
Symptome – Beobachtung und erste Maßnahmen
Eine palliative Versorgung ist individuell zu gestalten und richtet sich neben den Wünschen des Betroffenen nach der Symptomatik und dem Allgemeinzustand des Bewohnenden. Eine besondere Bedeutung kommt der Krankenbeobachtung zu, insbesondere dann, wenn sich der Betroffene nicht selbständig äußern kann.
Folgende Symptome sind häufig im Fokus der palliativen Versorgung:
Schmerzen
Das Recht auf eine angemessene Schmerztherapie ist im Grundgesetz verankert und steht oft im Mittelpunkt der Palliativversorgung. Der erste Schritt ist das Erkennen und Ernstnehmen der Schmerzen, welche systematisch und möglichst genau erfasst werden müssen:
- Wo schmerzt es?
- Wann tritt der Schmerz auf (z.B. bei Bewegung, Mobilisation, ...)?
- Wie äußert sich der Schmerz (z.B. ziehend, brennend, ...)?
- Sind die Schmerzen dauerhaft oder punktuell?
- Wie stark ist der Schmerz?
- Gab es frühere Schmerzepisoden und wie wurde damit umgegangen?
Die medikamentöse Therapie wird mit Haus- und Fachärzten, Schmerzambulanzen oder Palliativmediziner*innen abgestimmt und durch sie verordnet. Chronische Schmerzen benötigen eine Dauertherapie. Nicht medikamentöse Maßnahmen begleiten die Therapie und werden durch die Pflegefachkräfte geplant und durchgeführt.
Atemnot:
Atemnot geht oftmals mit Todesangst einher und bedeutet somit ein drastisches Leidensereignis für den Betroffenen. Maßnahmen können medizinischer Art sein, wie z.B. medikamentöse Behandlung oder die Gabe von CO2. Erste pflegerische Maßnahmen sind:
- Freihalten der Atemwege (ggf. durch Absaugen und/oder der Tracheostomaversorgung)
- Inhalation (gemäß ärztlicher Anordnung)
- Atemerleichternde Lagerung (Lagerung auf Wunsch)
- Bequeme, nicht beengende Kleidung
- Frischeluftzufuhr
- Zuwendung und Ablenkung
- Durchführen bzw. Einleitung weiterer angeordneter medizinischer Maßnahmen
Übelkeit
Übelkeit und Brechreiz können ggfls. die Nebenwirkung von verabreichten Schmerzmitteln sein. Mögliche pflegerische Maßnahmen können sein:
- Einleiten bzw. Umsetzen von ärztlich verordneten Therapien zur Unterdrückung der Symptome
- Berücksichtigen bzw. Förderung von persönlichen Wünschen in Bezug auf Nahrung, Getränken
- Ruhe, Wahrung der Intimsphäre
- Progressive Muskelentspannung
Obstipation/Diarrhö
Als Nebenwirkungen von Schmerzmitteln und anderen Medikamenten können Verstopfung (Obstipation) als auch Durchfall (Diarrhö) auftreten. Mögliche pflegerische Maßnahmen können sein:
- Einleiten bzw. Umsetzen einer ärztlich angeordneten, medikamentösen Obstipationsprophylaxe
- Ausreichende Flüssigkeitszufuhr (soweit möglich und toleriert)
- Bewegung/Mobilisation (soweit möglich und toleriert)
- Ballaststoffreiche Kost (soweit möglich und toleriert)
Angst/depressive Verstimmung
Neben der (fach-) ärztlichen und psychosozialen Therapie können die Mitarbeitenden der Pflege und der sozialen Betreuung effektive Maßnahmen umsetzen:
- Offene Gespräche über die Angst anbieten
- Offener Umgang mit dem Thema Sterben und Tod
- Aufzeigen, welche Ängste genommen werden können wie beispielsweise die Angst vor Schmerzen durch eine adäquate Schmerztherapie
- Den Bewohnenden empathisch entgegnen und ihm zeigen, dass er ganzheitlich wahrgenommen und geschätzt wird
- Besuch des Seelsorgers einleiten
- Auf Wunsch Kontakt zu Angehörigen oder Freunden herstellen
- Einbeziehen von externen Partnern (Kirche, Pfarrer/Priester, Glaubensmitglieder)
Juckreiz
Es gilt zwischen lokalem und diffusen Juckreiz zu differenzieren. Letzterer tritt oft bei Nieren- und Lebererkrankungen auf und kann nur durch Kühlung, Einreibung oder Ablenkung gelindert werden
Mundtrockenheit
Mundtrockenheit geht mit Symptomen wie Schmerzen und Brennen, trockenen Lippen, einem geänderten Geschmackssinn bis hin zu Schluckbeschwerden auf. Es kann zu Entzündungen und Infektionen führen. Ursache können Nebenwirkungen von Medikamenten aber auch eine unzureichende Speichelproduktion sein. Um die Symptome zu lindern, ist auf eine gute Mundpflege zu achten. Im terminalen Stadium kann der Mund durch Mundstäbchen feucht gehalten werden. Dabei können die Stäbchen mit dem Lieblingsgetränk des Bewohnenden angefeuchtet werden.[2]
Der Wunsch des Bewohnenden im Mittelpunkt
Jeder einzelne Bewohnende ist von der Bezugspflegefachkraft zu befragen, wie er seine verbleibende Lebenszeit gestalten möchte und was er sich an Unterstützung (sozial, spirituell, medizinisch, pflegerisch) wünscht. Bei demenziell veränderten Bewohnenden ist die verbale Bedürfnisäußerung in der Regel schwieriger, daher muss besonders auf nonverbale Kommunikation geachtet und die Angehörigen einbezogen werden. Wir kennen, achten und respektieren die individuellen Bedürfnisse unserer Bewohnenden. Diese können in unterschiedlichen Bereichen des Lebens auftreten. Die Erfüllung der Bedürfnisse trägt maßgeblich zum Wohlbefinden des Bewohnenden bei und ist ein Zusammenspiel interdisziplinärer Zusammenarbeit.
Gustatorische Bedürfnisse
Bewohnende im palliativen Zustand können Heißhunger auf ihre Lieblingsspeisen entwickeln. Wir erfragen proaktiv, auf welche Speisen/Getränke er Appetit verspürt und setzen seine Wünsche in Zusammenarbeit mit den Angehörigen um. Im Fokus steht nicht die quantitative Aufnahme von Nährstoffen und Kalorien. Vielmehr geht es um Genuss und damit häufig verbundene Erinnerung. Wir bieten pürierte, passierte und Schaumkost an. Dabei legen wir Wert auf ansprechende, appetitlich angerichtete Speisen. Bei Schluckstörungen kann jedes Getränk angedickt werden. Wir stellen entsprechende Trinkhilfen und Bestecke zur Verfügung. Der Bewohnende bestimmt seine Essgeschwindigkeit. Wir achten durch Beobachtungen auf mögliche Symptome, die auf ein Unwohlsein schließen lassen. Wenn es dem Bewohnenden möglich ist, ist ein Essen in der Gemeinschaft zu fördern.
Visuelle Bedürfnisse
Vielen Bewohnenden ist es wichtig, ein gepflegtes Äußeres zu haben. Insbesondere für die Frauen ist ein regelmäßiger Gang zum Friseur wichtig. Oft ist es in der letzten Lebensphase nicht mehr möglich, den Friseur zu besuchen. Wir achten auf ein gepflegtes und würdiges Erscheinungsbild.
Ist der Bewohnende nicht mehr in der Lage, mobilisiert zu werden, setzen wir punktuell Lichtprojektionen ein, die für eine stimmungsvolle Zimmerbeleuchtung sorgen. Ebenfalls nehmen wir gut dosiert einen räumlichen Wechsel vor, indem wir den Bewohnenden mit seinem Pflegebett beispielsweise in die Wohnküche bringen.
Auditive Bedürfnisse
Den Wunsch nach Musik und Klängen können wir auf unterschiedlicher Weise nachgehen indem wir beispielsweise die Lieblingsmusik zur Verfügung stellen oder auch musizieren und singen. Hierbei kann die Veeh-Harfe durch die soziale Betreuung zum Einsatz kommen. Ebenfalls kann meditative Musik mit Geräuschen aus der Natur (z. B. Meeresrauschen) oder ein Hörspiel zum Einsatz kommen. Ferner kann das auditive Gedächtnis durch Gespräche angeregt werden (z.B. Das Knistern des Lagerfeuers, der Sprung in den See, …). Die aufgeführten Möglichkeiten werden wohldosiert eingesetzt. Der Bewohnende gibt durch seinen Wunsch das rechte Maß an.
Olfaktorische Bedürfnisse
Jeder von uns hat – wenn wir uns an angenehme Erfahrungen erinnern – auch den dazugehörigen Geruch, einen ganz speziellen Duft gespeichert. Das ist so individuell wie unsere Lebensgeschichten, deshalb kann allein schon ein Gespräch über Wohlgerüche und Düfte diesen Sinn wieder hervorrufen. Durch Gespräche können schöne Erinnerungen aus der Vergangenheit und den damit verbundenen Geruch wachgerufen werden. Ist der Bewohnende beispielsweise früher gerne in den Bergen gewandert, assoziiert er diese Erinnerung vielleicht mit einem frischen Kieferwaldduft.
Wir können den Bewohnenden ebenfalls vorschlagen, dass wir das Lieblingsparfum besorgen oder eine Auswahl von Duft-Ölen bereithalten, die wir in eine Duftlampe fügen können. Es gibt Öle, die erfrischen, andere beruhigen oder erleichtern das Durchatmen, wieder andere regen an. Vielleicht hat der Bewohnende auch Lieblingsblumen, die wir gerne in seinem Zimmer bereitstellen.
Kinästhetische Bedürfnisse
Berührungen sind wichtig, um menschliche Nähe zu spüren und das Gefühl zu haben, nicht alleine zu sein. Mit Berührungen sind Rückversicherungen verbunden: Wir legen die Hand auf die Schulter eines Bewohnenden, wenn er unruhig ist, oder wir nehmen seine Hand in unsere um ihn zu trösten. Auch wenn jemand voller Unrast ist, kann es guttun, wenn wir unsere Handflächen mit leichtem Druck an seine Fußsohlen legen. Wir können mit verschiedenen Ölen die Haut einreiben und damit eine angenehme Wärme als auch Kühlung hervorrufen.
Viele Menschen berühren gerne etwas. Wir können dem Bewohnenden verschiedene Gegenstände mit unterschiedlichen Strukturen in die Hand geben wie beispielsweise einen Stein, ein Seidentuch oder ein Tannenzapfen. [3]
Weitere Bedürfnisse des Lebens
Die Bedürfnisse und Wünsche eines Menschen sind vielfältig und individuell. Um diese zu erkennen, ist ein ganzheitlicher und achtsamer Blick auf den Bewohnenden unabdingbar. Aus der Biografie und in Gesprächen mit dem Bewohnenden und Angehörigen lassen sich Wünsche und Bedürfnisse herleiten. War für den Bewohnenden beispielsweise früher der Gang zum Sonntags-Gottesdienst ein festen Bestandteil im Leben, tragen wir dafür Sorge, dass er dieses Ritual beibehält indem wir ihn zum Gottesdienst in unserem Haus begleiten. Ist eine physische Teilnahme nicht mehr möglich, kann der Gottesdienst auch im Zimmer über unseren Hauskanal verfolgt werden. Sofern der Gesundheitszustand des Bewohnenden es zulässt, kann die Kommunion im Zimmer eingenommen werden.
Auch ist das Bedürfnis nach einer angenehmen Atmosphäre nicht außer Acht zu lassen. Das Zimmer des Bewohnenden sollte nach seinen individuellen Wünschen und wohnlich gestaltet sein. Oft zeigt ein Zimmer, was den Menschen wichtig ist und ausmacht.
Angehörige können den Wunsch haben, die letzten Tage und Stunden mit dem Bewohnenden zu verbringen. Wir stellen einen Liegesessel und Getränke im Zimmer zur Verfügung. Neben den Mitarbeiter*innen der Pflege und Betreuung, gehen auch die Fachbereichsleitungen und die Einrichtungsleitung mit ihnen in Kontakt. Wir setzen unsere Seelsorge in Kenntnis, die ebenfalls für entlastende Gespräche und Trost die Angehörigen aufsucht. Als Ort der Ruhe und Spiritualität haben wir einen „Raum der Stille“, welcher mit einem Altar ausgestattet und liebevoll geschmückt ist.
Sterbephasen nach Kübler Ross
Jeder Mensch durchläuft die letzte Lebensphase auf seine individuelle Weise. Dennoch lassen sich aufgrund vieler Gespräche mit Sterbenden verschiedene Phasen, die der/die Betroffen*e durchläuft, erkennen. Das bekannteste Modell wurde von der Sterbeforscherin und Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross entwickelt. Wohlwissend, dass die beschriebenen Phasen kein starres Ablaufmodell darstellen und unterschiedlich lang sein können, kann das Wissen über die (möglichen) Phasen zu einer verständnisvollen und empathischen Betreuung/Versorgung beitragen. Die Phasen werden im Folgenden aufgeführt und erläutert.
Nicht – Wahrhaben – Wollen
Erhält der Mensch eine lebensverkürzende Diagnose, reagiert dieser häufig mit Schock und Verleugnung. Die Reaktion kann als Schutzmechanismus der Psyche verstanden werden. In dieser Situation ist es für Pflegende oder Angehörige schwer, einen Zugang zum Betroffenen zu erhalten. Der Betroffene sollte vollumfänglich mit seiner Reaktion akzeptiert werden.
Aggression
Nach dem ersten Schock brechen meist Emotionen wie Aggressionen, Wut, Zorn und Schuldzuweisungen aus. Manchmal treten diese Emotionen auch unterschwellig auf und äußern sich darin, dass es schwierig ist, den Bedürfnissen der Betroffenen gerecht zu werden. Dies kann für Angehörigen sehr belastend sein. Es ist wichtig zu verstehen, dass diese Reaktionen nicht gegen meine Person gerichtet sind, sondern zum Verarbeitungsprozess gehören.
Verhandeln
In dieser Phase beginnt der Mensch, sich mit dem Tod zu beschäftigen. Er verhandelt mit denen, von denen er glaubt, dass sie ihn noch heilen oder zumindest seinen Tod aufschieben können. Es kann auch sein, dass sie Wünsche äußern, die völlig unrealistisch erscheinen. Wichtig ist, Betroffenen weder die Hoffnung zu nehmen, noch falsche Hoffnungen zu wecken.
Depression
Haben Betroffene erkannt, dass sie sterben werden, kann dies mit Depressionen, Ängsten und Trauer einhergehen. Sie betrauern die Verluste, die sie durch die Erkrankung erleiden wie beispielsweise der Abbau der körperlichen Ressourcen. Sie bedauern Dinge, die sie in ihrem Leben nicht gemacht haben.
Akzeptanz
Oft kommt es dazu, dass der Sterbende Schließlich seine Situation annimmt und seinen Tod als Teil des Lebenszyklus akzeptiert.[4]
Qualifikation und Stärkung der Mitarbeitenden
Zur Umsetzung dieses Konzeptes, wird von unseren Mitarbeitenden eine palliative Grundhaltung vorausgesetzt. In Fort- und Weiterbildungen oder durch Fallbesprechungen erwerben unsere Mitarbeitende Grundkenntnisse in der Palliativversorgung und reflektieren ihre Haltung zum Thema Sterben und Tod. Ein respektvoller Umgang, der die Würde, Privatsphäre und Bedürfnisse des Bewohnenden achtet, steht in im Fokus unseres Handelns.
Ebenfalls werden Inhalte zur Gesprächsführung mit Bewohnenden und Angehörigen in Präsenz geschult.
Die Haltung kann nicht ausschließlich durch die Implementierung eines Konzeptes hervorgerufen werden. Vielmehr geht es darum, alle Bereiche von der Aufnahme bis zur Verabschiedung immer wieder zu überprüfen und im offenen Austausch/Dialog mit den Mitarbeitenden zu sein. Wir leben eine offene Unternehmenskultur und lassen Emotionen zu, was für die Gesundheit der Mitarbeitenden eine bedeutende Rolle hat. Wir fördern kollegiale Beratung, beispielsweise in der 2x wöchentlich stattfindenden „Eduard-Sprechstunde“ bei denen sich die Schichtleitungen des Hauses gemeinsam mit den Pflegedienstleitungen treffen um sich fachlich auszutauschen. In diesem Austauschformat wird gezielt der Allgemeinzustand der Bewohnenden und der Zeitpunkt einer palliativen Einschreibung besprochen.
Planung Begleitung sterbender Bewohner*innen
Prozess |
Maßnahme | Zuständigkeit | Informationen | |
Beginn Sterbephase |
|
Pflegefachkraft |
Erstellung eines 24h-Planes der Begleitung Klärung: Orale Medikation, Gabe Infusion, Prüfung Patientenverfügung, Prüfung Notärztliche Versorgung |
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Bewohner ist verstorben |
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Pflegefachkraft
|
Abholung des verstorbenen Bewohners:
Sobald bekannt ist, wann die Angehörigen in die Einrichtung kommen, Info an
Angehörige erhalten das Informationsschreiben & "Wir nehmen Abschied" - siehe Anlage |
Beerdigungs- |
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Sakristanin HWL |
Absprache Sakristanin
Absprache HWL
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Abschiedskultur
In Ruhe Abschied nehmen zu können ist Teil unserer Sterbebegleitung und ermöglicht den Angehörigen, die Trauer um ihren geliebten Menschen friedvoll verarbeiten zu können.
Der Bewohnende ist während der Sterbephase und nach dem Tod in seinem Zimmer.
Vor der Zimmertür wird ein Regenbogentuch aufgehängt, sodass auch für die Mitbewohnenden ersichtlich ist, dass wir Abschied nehmen. Das Zimmer wird mit einer Kerze, einem Kreuz und ggfls. einer Blume geschmückt. Die Utensilien befinden sich in einem Korb im Dienstzimmer. Die Einrichtungsleitung tritt in den Kontakt mit den Angehörigen und lädt zu einem Abschiedsgespräch ein. Im Zimmer ist ein Briefumschlag mit unserem Brief „Wir nehmen Abschied“ hinterlegt (siehe Anhang). In diesem Brief finden Angehörige hilfreiche Informationen zum organisatorischen Ablauf.
Der Bewohnende kommt bei Einzug in unser Haus durch unseren Haupteingang und verlässt es durch eben diesen. Der Verstorbene wird in einen Sarg gebettet und zum Haupteingang geführt. Bevor der Sarg das Haus verlässt, halten wir gemeinsam mit den diensthabenden Mitarbeitenden des Wohnbereiches vor dem Sarg inne und sprechen ein Abschlussgebet. Zu diesem Ritual sind ebenfalls die Angehörigen und die Mitbewohnenden eingeladen. Um Störungen zu vermeiden werden die Telefone in dieser Zeit stumm geschaltet. Da die Verabschiedung in unmittelbarer Nähe zur Cafeteria stattfindet, informieren wir die anwesenden Gäste über unser Ritual. Ferner begrüßen wir, dass der Verstorbene zwischen 10:00 und 18:00 Uhr vom Bestattungsinstitut abgeholt wird, sodass sich Mitbewohnende und Mitarbeitende in Ruhe und außerhalb der Hauptpflegezeiten verabschieden können.
Nach der Verabschiedung begleiten wir den Sarg zum Leichenwagen und halten vor der Tür inne, bis der Wagen außer Sichtweite ist.
Am Eingang unseres Hauses haben wir eine Gedenknische. Auf einer Anrichte liegt öffentlich ein Gedenkbuch, in dem wir die verstorbenen Bewohnenden namentlich mit ihrem Geburts- und Sterbedatum aufführen. Jede Seite ist ein Tag eines Monats des Jahres und wird tagesaktuell aufgeschlagen. Das Jahresbuch wird seit 1999 geführt. An diesem Gedenkort halten sich Bewohner*innen gerne auf und nutzen diesen Ort für einen kurzen Moment der Stille. Mit dem Gedenkbuch möchten wir zeigen, dass der Verstorbene mit seinem Tod nicht vergessen ist.
Die Angehörigen erhalten auf dem Postweg eine Beileidskarte.
Wir gedenken den Verstorbenen im nächsten Wortgottesdienst sowie an Allerheiligen. An Allerheiligen verlesen wir alle Namen der Bewohnenden, die innerhalb eines Jahres von uns gegangen sind und entzünden eine Kerze. Die Angehörigen werden dazu eingeladen.
Literaturverzeichnis
beta Institut gemeinnützige GmbH (Hrsg.), Palliativversorgung - Sozialrechtliche und psychosoziale Informationen für die letzte Lebensphase, 2024
Kalckereuth, Elftraud von, Auf dem Weg mit Sterbenden. Alles hat seine Zeit, 2001
Kübler-Ross, Elisabeth, Über den Tod und das Leben danach, 2012
WHO, https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/palliative-care
[1] https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/palliative-care, 08.03.2024
[2] Vgl., beta Institut gemeinnützige GmbH (Hrsg.), Palliativversorgung - Sozialrechtliche und psychosoziale Informationen für die letzte Lebensphase, S. 23, ff., 2024.
[3] Vgl, Kalckreuth, Auf dem Weg mit Sterbenden, Alles hat seine Zeit, S. 97 ff., 2001.
[4] Vgl., Kübler-Ross, Über den Tod und das Leben danach, 2012.