1. Präambel
2. Definitionen
3. Ziele
4. Mögliche Ursachen für eine Inkontinenz / Risikofaktoren
5. Bestimmung des Inkontinenzprofils
6. Maßnahmen
7. Dokumentation
Es liegt die Version aus dem Jahr 2024 zugrunde.
1. Präambel
Harn- und Stuhlinkontinenz sind ein nach wie vor weit verbreitetes Problem, das in allen Altersstufen, mit steigendem Risiko im Alter, auftreten kann und insgesamt Frauen deutlich häufiger betrifft als Männer. Vor dem Hintergrund dieses tabuisierten und schambehafteten Themas ist es nur bedingt möglich, verlässliche Aussagen zur Prävalenz von Inkontinenz zu treffen, da viele von Inkontinenz betroffene Menschen keine professionelle Hilfe aufsuchen und die Problematik verschweigen. Hinzu kommt, dass viele Betroffene der Ansicht sind, dass Probleme mit der Harn- und/oder Stuhlausscheidung zu einem normalen Alterungsprozess dazu gehören.
2. Definition
Harninkontinenz ist in Anlehnung an die „International Continence Society“ (ICS) jeglicher unfreiwilliger Harnverlust/Urinabgang (ICS 2023). Auch wenn in aktuellen Publikationen die frühere Bezeichnung der „funktionellen Inkontinenz“ (in Anlehnung an Royle & Walsh zitiert in Getliffe & Dolman 1997) kaum noch zu finden ist (s. Literaturstudie zum aktualisierten Expertenstandard), versteht die Expert*innenarbeitsgruppe den Begriff der Kontinenz als die Fähigkeit, willkürlich und zur passenden Zeit an einem geeigneten Ort die Blase zu entleeren. Fähigkeiten wie die Kommunikation von Bedürfnissen oder die Annahme von Hilfestellungen, wenn Einschränkungen beim selbständigen Toilettengang bestehen, sind dabei im pflegerischen Kontext von Bedeutung und dürfen nicht außer Acht gelassen werden. Bei der Definition der
Stuhlinkontinenz orientiert sich die Expert*innenarbeitsgruppe an der Definition der „United European Gastroenterology“ (UEG 2022): „Stuhlinkontinenz ist der wiederkehrende unkontrollierte Stuhlgang über einen Zeitraum von mindestens drei Monaten“. Der Expert*innenarbeitsgruppe ist in diesem Zusammenhang wichtig, dass der genannte Zeitraum von mindestens drei Monaten aus pflegerischer Sicht weniger Bedeutung beizumessen ist, da sich unabhängig von der Dauer einer Stuhlinkontinenz in jedem Fall pflegerische Maßnahmen ergeben können.
3. Ziele
- Eine erkannte Harn- und Stuhlinkontinenz (unwillkürlicher Harn- und Stuhlverlust) wird weitestgehend reduziert bzw. durch entsprechendes Inkontinenzmaterial und Hilfestellungen kompensiert.
- Bei einem Inkontinenten Bewohner ist das individuell höchstmögliche Maß an Harn- und Stuhlkontinenz mit der größtmöglichen Selbstständigkeit erreicht.
- Alle Bewohner mit einer Inkontinenz sind umfassend beraten.
- Richtlinien des Expertenstandards Förderung der Harninkontinenz in der Pflege in der aktuellen Version sind integriert.
4. Mögliche Ursachen für eine Inkontinenz / Risikofaktoren
- Geschlechtsunabhängig:
- kognitive Einschränkungen
- körperliche Einschränkungen, insbesondere der Mobilität
- Erkrankungen z.B.: Apoplex, MS, Parkinson, Demenz, Diabetes mellitus
- Einnahme bestimmter Medikamente wie Diuretika, Antidepressiva, Opiate
- Obstipation
- Harnwegsinfektion
- Stressinkontinenz – unwillkürlicher Harnverlust unter Belastungen z.B. Husten, Niesen, etc.
- Dranginkontinenz – es kommt trotz intakten Harnröhrenverschlusses infolge einer Überaktivität des Blasenmuskels zu gesteigertem Harndrang mit unwillkürlichem Harnverlust.
- Männer:
- Grunderkrankungen der Prostata
- Frauen:
- Belastungen des Beckenbodens durch z.B.: Schwangerschaften/ Entbindungen, Adipositas, Lageveränderung/Vergrößerung der Gebärmutter
5. Bestimmung des Inkontinenzprofils
Die Inkontinenzprofile ermitteln den Grad des personellen und/oder materiellen Unterstützungsbedarfes:
- Kontinenz: kein unwillkürlicher Harnverlust
- keine Personelle Hilfe, kein Hilfsmittel
- Unabhängig erreichte Kontinenz: Kein unwillkürlicher Harnverlust.
- Personelle Hilfe ist nicht notwendig. Selbständige Durchführung der Maßnahme
- Abhängig erreichte Kontinenz: kein unwillkürlicher Harnverlust
- Personelle Unterstützung bei der Durchführung von Maßnahmen.
- Unabhängig kompensierte Inkontinenz: Unwillkürlicher Harnverhalt
- keine personelle Unterstützung bei der Versorgung mit Hilfsmitteln
- Abhängig kompensierte Inkontinenz: Unwillkürlicher Harnverhalt
- Personelle Unterstützung bei der Inkontinenzversorgung ist notwendig
- Nicht kompensierte Inkontinenz: Unwillkürlicher Harnverhalt
- Personelle Unterstützung und therapeutische bzw. Versorgungsmaßnahmen werden nicht in Anspruch genommen.
Das jeweilig zutreffende Inkontinenzprofil wird im Modul 4 der Selbstversorgung vermerkt.
6. Maßnahmen
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Je nach Profil werden individuelle notwendige Maßnahmen festgelegt.
- Bei Einzug, während des Erstgespräches mit der Pflegefachkraft, wird in der Pflegeanamnese im Modul 4 unter dem Punkt Selbstversorgung der individuelle Bedarf sowie das Inkontinenzprofil erfasst.
- Anhand des Anamnesebogens wird auf das Erleben des Bewohners mit der Inkontinenz eingegangen. Die Ergebnisse werden in der Pflegeplanung unter Erleben/Verhalten integriert. Der Bewohner wird in die individuelle Maßnahmenplanung mit einbezogen.
- Die Auswahl eines erforderlichen Inkontinenzproduktes oder eines Hilfsmittels wird gemeinsam mit dem Bewohner besprochen bzw. getroffen. Diese Information wird zeitnah an die Pflegedienstleitung weitergegeben, um die Bestellung auszulösen.
- Bei Bewohnern mit einer vorliegenden Demenz, welche keine klaren Aussagen zu ihrer bestehenden Inkontinenz machen können, muss für mindestens 5 Tage im Bericht die Notwendigkeit und ungefähre Auslastung des Inkontinenzmaterials beschrieben werden. Der Bewohner wird in seinem Ausscheidungsverhalten beobachtet, die Ergebnisse (z.B. Vorlage morgens immer trocken, erst gegen Mittag – 11.30 Uhr sehr nass) werden dokumentiert und nach Abschluss ausgewertet. Individuelle Maßnahmen werden geplant und in die Pflegekarte integriert (z.B. Toilettengang vor und nach dem Mittagessen ca. 11.30 Uhr und 12.30 Uhr). Die Auswahl eines geeigneten Inkontinenzproduktes wird durch die Pflegefachkraft getroffen.
Folgende Hilfsmittel stehen zur Verfügung und können bei der PDL angefordert werden:
- Toilettenstuhl
- Toilettensitzerhöhung
- Urinflasche
- Steckbecken
- Urinalkondom (in Absprache mit dem Arzt – muss verordnet werden)
- verschiedene Inkontinenzprodukte
7. Dokumentation
Im Modul 4, der Selbstversorgung wird das Erleben und Verhalten des Bewohners im Zusammenhang mit seiner Inkontinenz beschrieben. Die Maßnahmen zur individuellen Versorgung werden in der Pflegekarte unter dem Punkt pflegerische Versorgung / Selbstversorgung festgehalten. Bei besonderen Maßnahmen werden die Intervalle der Evaluation angepasst: z.B. ausprobieren eines bestimmten Inkontinenzproduktes für 1 Woche. Aktuelle Besonderheiten und geführte Beratungsgespräche werden im Pflegebericht dokumentiert.